Ein Hoch auf den Zug
Alexandra Freund-Gobs • 26. Juni 2023
Warum ich trotz aller Umstände immer noch Zug fahre
Nein, Zugfahrten sind heutzutage auch in der ersten Klasse nicht (mehr) so komfortabel, wie es das im Böhmischen Prater abgelichtete Ausstellungsstück früherer Zeiten auf den ersten Blick vermuten lässt. Auf den zweiten Blick hängt auch dort die Gardine im dritten Fenster von rechts nicht mehr in ihren Angeln. Ich fahre trotzdem in aller Regel mit dem Zug nach Wien und ernte dafür regelmäßig ein "Was, du fährst mit dem Zug?" Begleitet wird die rhetorische Frage gerne mit Augenrollen, Stöhnen und oft einem mitleidigen Blick. Ja, bei meinen über 20 Bahnfahrten zwischen Oberschwaben und Wien in den letzten vier Jahren lief selten alles glatt und geplant. Während ich in der ersten Zeit noch erste Klasse mit Sitzplatzreservierung gebucht habe, lasse ich das mittlerweile, wenn ich alleine unterwegs bin, komplett bleiben. Erstens entfällt damit die lästige Wagennummernsuche vor dem Einsteigen oder, wenn man wieder die falsche Wagennummer beim Einstieg erwischt hat, das lästige Hinterherzerren des Koffers durch sämtliche Wagen in die falsche Richtung und wieder zurück. Man könnte mir jetzt vorwerfen, ich bin zu blöd, den richtigen Wagen mit dem richtigen Abteil und dem richtigen Platz auf Anhieb zu finden. Wer aber mit etwas Beobachtungsgabe ausgestattet ist und seinen Platz rechtzeitig einnimmt, wird feststellen, dass eine Vielzahl der Eingestiegenen erst in die eine Richtung und dann wie auf Kommando in die andere Richtung an einem vorbeischleichen. Zweitens fehlten auch schon erste Klasse Wagons, in denen ich einen Platz gebucht hatte, so dass ich erst kostbare Zeit mit der Suche des nicht vorhandenen Wagens, dann kostbare Zeit mit der Erkenntnis des Nichtvorhandenseins des Wagens und schließlich kostbare Zeit mit der Suche nach einer Zugbegleiterin/einem Zugbegleiter verbracht habe, mit deren oder dessen Hilfe ich dann einen neuen Platz zugeteilt bekam.
Wo liegen dann eigentlich die Vorteile, wird sich jetzt der geneigte Leser fragen? Bei Drittens. Denn drittens finde ich beim Alleinreisen immer irgendwo einen Platz, wenn ich nicht erst ewig viel Zeit mit der Suche nach einem bestimmten Platz verbringen muss. Und das wichtigste: Das Abenteuer Zug geht erst richtig los, wenn ich mich treiben lasse und schaue was passiert. Auf diese Weise hatte ich erst bei meinen letzten beiden Reisen nach Wien so lustige Erlebnisse, über die ich hier berichte.
Morgens um 9.20 Uhr in Ulm. Ich warte auf meinen Anschlusszug nach Salzburg. Neben mir stehen zwei Frauen. Beide schauen konzentriert zwischen ihrer ausgedruckten Fahrkarte und der Anzeigentafel hin und her. Auf der Anzeigentafel sind zwei Züge aufgelistet, da der eine aber erheblich Verspätung hat, wirkt die Anzeige etwas verwirrend, da der später aufgelistete Zug vor dem eigentlich früheren Zug eintreffen wird. Die beiden Frauen wenden sich an mich und fragen mich nach meinem Reiseziel. Meine Antwort "Wien" quittieren sie mit einem breiten Lächeln und den Worten "Super, dann sind sie jetzt bis Wien unsere Freundin." Die beiden haben eigentlich eine Sitzplatzreservierung, ich wie oben erwähnt, nicht. Sie beschließen kurzer Hand, auf ihre Reservierung zu verzichten, um sich voll und ganz an meine Fersen heften zu können. So gelangen wir gemeinsam in den Zug und finden doch tatsächlich für uns drei Plätze um einen Tisch gruppiert. Bis wir in Salzburg angekommen sind, sind wir bereits beste Freundinnen, tauschen unsere mitgebrachten Carepakete und plaudern uns durch alles mögliche. Ich erfahre, dass die beiden Schuhverkäuferinnen sind. Ich lerne auch, dass der Sinn, dass immer nur ein Schuh in einem Regal steht, der ist, dass dadurch der Verkäufer/die Verkäuferin zu Rate gezogen werden muss. Leider ist es aber auch so, dass beim Platzieren nur eines Schuhs dieser durch das Licht im Geschäft eine andere Farbe annimmt, als der Schuh, der in einem Karton schlummert. Und ich lerne, dass deshalb nun der eine oder andere Schuhladen deshalb inzwischen das Paar Schuhe komplett ausstellt. Das wiederum hat aber zur Folge, dass weniger Beratung von Nöten ist. Haben Sie sich schon mal gefragt, warum ein lästiger Sicherheitschip im Schuh angebracht ist (oder in einem Kleidungsstück an unangenehmen Stellen? Der Grund ist einfach: Weil man dann endlich wieder auf den Rat und die Tat des Verkäufers/der Verkäuferin angewiesen ist. So ist das nämlich!
Eine zweite Anekdote erlebte ich bei der Rückfahrt im Regionalzug. Aus Faulheit setze ich mich oft im Regionalzug oft einfach in das Fahrradabteil. Neben mich setzte sich in dem Fall eine nette Seniorin über 70, auf dem Weg, ihre Enkelin zu "sitten". Sie hatte sich das 49 Euroticket frisch ergattert, das Ticket gab es erst seit einem Tag zu Kaufen. Wir saßen da und plauderten. Da lief ein fröhlich pfeifender Zugbegleiter durch den Wagen, ohne sich bei dieser Gelegenheit die Fahrkarten zeigen zu lassen. Ich bin mir sicher, er hätte seine Kontrolle schon noch gestartet, dem kam aber die nette Seniorin neben mir zuvor. "Wollen Sie nicht die Fahrkarten sehen?" fragte sie den Zugbegleiter erbost über einige Fahrräder und Köpfe hinweg. "Jetzt hab ich schon das 49 Euro Ticket und will es auch zeigen", fügte sie hinzu. Der Zugbegleiter kam zu uns rüber und sagte schmunzelnd: "Tja, wer nicht als die pedantischen Pensionäre könnte auf der Fahrkartenkontrolle bestehen!" Den Spruch nahm die Seniorin mit Humor und wollte auch gleich noch etwas über ihre Anschlusszüge erfahren. Der Zugbegleiter hatte Mühe, die Informationen auf die Schnelle ausfindig zu machen, da es "hierfür eine neue App gibt, die es noch zu erlernen gilt". Die schließlich doch gefundenen Informationen schrieb die Seniorin fein säuberlich mit akribisch geschwungener Schrift in ein kleines Notizbüchlein. Der Zugbegleiter musste sich, da die Dame nicht so gut hören konnte, solange neben die Dame setzen.
Stuttgart-Wien-und-mehr

Die Dämmerung breitet sich in der Umgebung aus und zu hören ist nur der beruhigende, blubbernde Motor unseres alten VW Käfers. Ansonsten hört man kein Geräusch. Ein bisschen fühlt es sich an wie nach Neuschnee, alles scheint in Watte gepackt. Da wir uns aber mitten in einem Naturschutzgebiet befinden, ist das unnatürlich. Normalerweise kündigen Vögel mit ihrem Abendgesang die Nacht an, hier ist es absolut still. Auch der Wind verursacht kein Blätterrauschen. Denn die Korkeichen am Straßenrand und auf den Hügeln um uns herum tragen kein einziges Blatt mehr, obwohl es erst September ist. Und die Baumstämme und Äste der Bäume sind kohlrabenschwarz. Es fühlt sich an, als würden wir durch eine Mad Max Kulisse fahren nach einer Apokalypse. Auch der Geruch ist nicht der nach frischem Wald. Zugetragen hat sich das im Jahr 1990. Wir waren als Studenten auf Tour und fröhlich gestimmt von der Route Napoleon abgefahren. Nun durchquerten wir zum ersten Mal das südfranzösische Maurengebirge in Richtung Côte d’Azur. Es war auch das erste Mal, dass wir die Auswirkungen eines verheerenden Waldbrandes gigantischen Ausmaßes unmittelbar erlebten, es sollte nicht das letzte Mal sein. Woher kommt der Name Massif des Maures? Das Gebirge befindet sich zwischen Hyères und Fréjus im Departement Var. Es erstreckt sich über eine Fläche von 135 000 Hektar und ist 60 km breit, über 130 km lang und bis zu 780 m hoch. Der Name der Gebirgskette, Massif des Maures (Maurengebirge), hat seinen Namen von der dunklen Farbe des Gesteins und seiner Bewaldung mit Kork- und Steineichen und ist wohl auf das okzitanische Wort maouro (schwarz) zurückzuführen. Der Name hat sich mit den Jahrhunderten immer wieder verändert: Montem Maurum, Maura, la Maura im Jahre 1529, las Mauras de Bormettas. Historiker und Linguisten vermuten, dass der Name „montagne noire“ (schwarzer Berg), zuerst im Singular als „la noire“ (der Schwarze) benutzt wurde (la Maura, in Latein und Provenzalisch) und später auch im Plural, da das Gebirge mehrere Gipfel aufweist. Zahlreiche markante Aussichtspunkte ermöglichen fantastische Ausblicke über die imposante Küste und kilometerweite Wälder im Landesinneren. Wer die Ruhe abseits der Touristenströme liebt und dem hippen Côte d’Azur-Lifestyle ab und zu den Rücken kehren möchte, ist hier goldrichtig. Man kann wandern und abgelegene Weingüter besichtigen, die, wie beispielsweise das Weingut Domaine Murennes, aufgrund schwerer Erreichbarkeit auch der Resistance einen Rückzugsort boten. Darüber schreibe ich aber ein anderes Mal. Mit der Waldbrandgefahr leben Auffällig im Massif de Maures sind allgegenwärtig Warn- und Verbotsschilder, die bei bestimmten Wetterlagen das Begehen der Wege verbieten, um damit die Gefahr von Waldbränden einzudämmen. Damit muss man rechnen und das ist auch gut so. Denn leider sind Waldbrände im Maurengebirge keine einmalige Katastrophe, sondern treten immer wieder auf. Sie gehen nicht immer glimpflich aus. Bei einigen der Brände starben Menschen. Bei allen Bränden sind Natur und Tiere betroffen. Die Korkeichen erholen sich meist wieder schnell, das gilt nicht für die ebenfalls ansässigen Schirmpinien, ganz zu schweige von den Tieren, die nicht schnell genug das Weite suchen können. Die Natur kann sich über mehrere Jahre hinweg regenerieren, die Landschaft wird aber eine andere sein. Und immer, wirklich immer, sind hunderte von Feuerwehrmännern bei den Waldbränden im Einsatz, um die Feuer zu bekämpfen, manchmal viele Tage lang und immer bis zur Erschöpfung und in der Hoffnung und mit Blick auf Wind und Wetter, ob sich das Schlimmste verhindern lässt. Warum schreibe ich darüber? Feuerwehrmänner: Helden auf Abruf Die Idee entstand diesen Sommer, als wir an einem wundervollen sonnigen Septembertag bei bestem Wetter oberhalb des Örtchens Bormes les Mimosas steil bergan durch den Korkeichenwald zur Chapelle Notre Dame de Constance wandern. Der Blick von oben ist herrlich. Nach einem etwa 30-minütigen Fußweg und mächtig durchgeschwitzt genießen wir den Ausblick über die Küste und die Inseln Iles d'Or und Iles du Levant von der Kapelle aus. Ein Stück weiter befindet sich eine Aussichtsplattform mit 360-Grad-Aussicht. Bei näherem Hinsehen fallen mir von weitem zwei Menschen in tieforangen Oberteilen auf, die auf der Plattform sitzen und sich unterhalten. Es sind Feuerwehrmänner, die hier Feuerwache halten. Für mich sind das zwei der Helden des Maurengebirges und ich möchte sie kennenlernen. Endlich zahlt sich für mich aus, dass ich seit etwa einem Jahr mein Schulfranzösisch mit einem Online-Kurs aufpoliere. Auffällig ist die Ruhe, die die beiden ausstrahlen. Das ist mir vertraut vom Kontakt zu Menschen, deren Arbeit darin besteht, in Ausnahmesituationen besonnen funktionieren zu müssen. Sehr entspannt und zugewandt gehen sie auf meine unperfekt auf Französisch formulierten Fragen ein. Oft treffe ich mittlerweile auf Französinnen und Franzosen, die lieber aufs Englische ausweichen, als Geduld für mein B1-Sprachniveau aufzubringen. Wir kommen ins Gespräch und unterhalten uns über Urlaube mit dem Wohnmobil, der eine der beiden fährt ein Hymermobil und ist davon begeistert. Als wir ihm berichten, dass wir etwa 40 km entfernt vom Hymer-Stammsitz in Deutschland unsere Heimat haben, ist er begeistert: „Eh bien, le monde est petit.“ (Die Welt ist klein.) Unsere Gesprächsthemen streifen nur am Rande die großen Brände von 2021 und 2017, die hier noch allen in Erinnerung sind. Vielleicht ist das normal. Es ist auf jeden Fall verständlich: Die beiden Feuerwehrmänner müssen sich konzentriert fokussieren, wenn Gefahr im Verzug ist. Jetzt plaudern sie, aber immer mit aufmerksamem Rund-um-Blick über die bewaldeten Hügel und immer mit halbem Ohr am Funkgerät, aus dem, begleitet von Knarzen und Rauschen, kurze Meldungen eingehen. Das ist der Moment, indem ich beschließe, den Blog über die Begegnung mit den beiden Feuerwehrmännern zu schreiben. Für mich sind sie stellvertretend für alle, die für die Sicherheit im Maurengebirge sorgen. Eine Präventionskampagne liefert nützliche Informationen für Touristen und Einheimischen: https://www.prevention-incendie-foret.com/ Konkrete Verhaltenstipps für Waldbesuche gibt es hier: https://www.prevention-incendie-foret.com/pratiques-a-risque/en-foret-interdiction-de-faire-feu Die Risikomeldungen werden zwischen Juni und September täglich aktualisiert: Zugangskarte zu den Waldgebieten des Var und Arbeitsvorschriften in den Waldgebieten des Var









