Wie ein Detektiv auf den Spuren der Wiener Geschichte.

Alexandra Freund-Gobs • 11. August 2024

Zwei Fundstücke: Ein Mann voller Eisennägel und eine Frau mit einer Schlange aus Metall.

Eine männliche und eine weibliche Figur treffen bei einem Rätselspiel in Wien aufeinander. Der Frau liegt eine metallene Schlange zu Füßen. Der Mann ist vollständig bedeckt mit eingeschlagenen Eisennägeln. Jeder Nagel symbolisiert eine Spende.  Aber der Reihe nach: Zum Geburtstag bekomme ich das Spiel „Monster Hunt 1918“ geschenkt. Man spielt es entlang der Ringstraße in Wien. Dafür erhalte ich ein kleines Paket mit sechs Spielkärtchen und einer Schatzkarte. Um mich vorzubereiten, lese ich alles, was ich über die Geschichte der Ringstraße finden kann. Das Alter für die Spieler ist mit 8-199 Jahren angegeben, also braucht es vielleicht gar nicht so viel Vorwissen? Ein bis sechs Spieler können teilnehmen. Die Spieldauer ist mit zwei Stunden angesetzt, wenn man Vollgas gibt. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet.


Mit einem Rätsel-Spiel in Wien unterwegs


Ein Tipp, den wir nicht beachtet hatten, die ideale Spielzeit ist unter der Woche. Denn einige Monster kann man aufgrund von Öffnungszeiten nur unter der Woche finden. Wir spielen zu viert und entscheiden uns trotzdem für Sonntag. Zwei Spieler müssen am Montag in Wien wieder ihrem Brötchenverdienst nachgehen.

Das Spiel ist zauberhaft und lehrreich zugleich. Die Schatzkarte führt uns an Orte, an denen wir alle schon oft vorbeigelaufen sind, aber eben nie genau hingeschaut haben. Achtung Spoiler, wer Monster Hunt 1918 selbst spielen möchte, sollte nun nicht weiterlesen. Für alle anderen, es gibt noch eine Reihe weiterer Themenkarten für eine Rätsel-Jagd durch Wien. Für manche Monster-Entdeckung brauchen wir ganz schön lange. Wir kommen zwar meist schnell in die richtige Gegend, rätseln aber dann meist wild herum. Deshalb enthält jede Karte als Hilfestellung vier Tipps, die man nach und nach freirubbeln kann. Wir rubbeln viel, soviel sei gesagt.


Der Wehrmann im Eisen


Zwei Monster sind mir besonders im Gedächtnis geblieben. Eines davon befindet sich an der Ecke Rathausstraße/Felderstraße. Es ist der Wehrmann in Eisen (ursprünglich hieß er Wehrmann im Eisen). Zweimal wurde er aufgestellt, das erste Mal 1915 anlässlich des Ersten Weltkriegs. Der Erste Weltkrieg hatte alles, was man sich bislang unter Krieg hatte vorstellen können, in den Schatten gestellt. Praktisch alle Männer im wehrfähigen Alter wurden eingezogen und die Zahl von Gefallenen und Verletzten war enorm. Man hatte keine Antwort auf die Frage, wie man mit den Hinterbliebenen und mit den Invaliden umgehen sollte. Zahllose Wohltätigkeitsvereine starteten Unterstützungsaktionen. Der Wehrmann in Eisen ist hierfür ein Paradebeispiel.


„…Die ursprüngliche Initiative ging vom sogenannten Militär-Witwen- und Waisenfonds aus, der – auf der Suche nach einer Geldquelle – ein Konzept entwickelte, das eine Zeit lang erfolgreich funktionierte: Er ließ die hölzerne Figur eines Ritters gegen Geld benageln. Vorbild war das bekannte Wiener Wahrzeichen, der Stock im Eisen, jener Nagelbaum aus dem Mittelalter, in den durchreisende Schmiedehandwerker einen Nagel einschlugen. Wie dieser Nagelbaum bekam auch der Wehrmann nach und nach einen eisernen Panzer, denn jeder, der eine Spende für den Witwen- und Waisenfonds leistete, durfte einen Nagel einschlagen…“ (Das Zitat steht in einem Text von Verena Pawlowsky und Harald Wendelin im Magazin Wien Museum, der Link folgt unten.)


Der Kastalia-Brunnen


Eine Geschichte mit völlig anderem Hintergrund führt uns in die Universität Wien. Hier geht es nicht um Patriotismus und Wohltätigkeit, sondern um Weisheit, und, wenn man etwas tiefer blickt, um einen sich gegen ein System auflehnenden Charakter. Die Rede ist von der Quellnymphe Kastalia, die in der griechischen Mythologie die Hüterin der Quelle der Weisheit in Delphi ist und deren mythologische Erzählung im Laufe der Jahrhunderte vielfältige Ausprägungen erfuhr. Die um 1900 entstandene Figur befindet sich im Arkadenhof des Hauptgebäudes der Universität. Dort thront die sitzende Plastik mitten im Grünen. Um ihre Füße windet sich eine Schlange aus Metall. Wir stehen vor dem Kastalia-Brunnen. Die Weisheit bezog sich am Rande bemerkt auf die Weisheit der Männer, deren Denkmäler sich im Umfeld von Kastalia im Arkadenhof befinden. Ursprünglich war für den Standort ein Reiterstandbild vorgesehen für den Stifter der Universität, Herzog Rudolf dem IV.

„…Im November 1894 teilte der damalige Minister für Cultus und Unterricht, Stanislaw Madeyski, dem Rektorat mit, dass er den vom Bildhauer Anton Paul Wagner stammenden Entwurf von der Brunnen-Figur „die Nymphe Kastalia mit dem Drachen Python“ für den Arkadenhof umgesetzt sehen wolle und auch bereit wäre, dafür die Geldmittel zu beschaffen. Einen Grund für diese Entscheidung gab er nicht an. Das Rektorat stimmte der Umsetzung des Entwurfs zu. Aufgrund des Todes von Wagner 1895 wurde der Bildhauer Edmund Hellmer mit der Umsetzung des Entwurfs beauftragt. Erst 15 Jahre später, im August 1910, wurde mit dem Aufbau der Figur begonnen…“ (Das Zitat stammt von Johann Kirchknopf aus einem Artikel über den Kastalia-Brunnen der Universität Wien. Der Link folgt unten.)


Mehr über die Geschichte der Frauen an der Universität kann man auch bei einer Führung der Universität Wien erfahren. Eine Führung lohnt sich. Darüber schreibe ich das nächste Mal ausführlich. Jetzt nur so viel: Bislang gab es noch keine Rektorin der Universität Wien. Eine drei Wände umfassende Auflistung aller bisherigen Rektoren zeugt davon im inneren der Universität.


Mehr Wissen über den Wehrmann, Kastalia und das Rätsel-Spiel:


Der noch unbeschlagene Wehrmann war vom Bildhauer Josef Müllner entworfen worden. Weitere Details zur Geschichte des Wehrmanns in Eisen findet man hier: https://magazin.wienmuseum.at/der-wehrmann-in-eisen#:~:text=N%C3%A4gel%20f%C3%BCr%20den%20guten%20Zweck&text=Der%20%E2%80%9EWehrmann%20in%20Eisen%E2%80%9C%20steht,und%20ihrer%20Versorgung%20zu%20tun.


Über Kastalia und den Brunnen erfährt man hier vieles mehr: https://geschichte.univie.ac.at/de/artikel/kastalia-brunnen-im-arkadenhof-der-universitat-wien


Unter www.citygames.wien kann man die Spielkarten für eine Rätsel-Jagd durch Wien erwerben. 

Stuttgart-Wien-und-mehr

von Alexandra Freund-Gobs 16. November 2025
Die Dämmerung breitet sich in der Umgebung aus und zu hören ist nur der beruhigende, blubbernde Motor unseres alten VW Käfers. Ansonsten hört man kein Geräusch. Ein bisschen fühlt es sich an wie nach Neuschnee, alles scheint in Watte gepackt. Da wir uns aber mitten in einem Naturschutzgebiet befinden, ist das unnatürlich. Normalerweise kündigen Vögel mit ihrem Abendgesang die Nacht an, hier ist es absolut still. Auch der Wind verursacht kein Blätterrauschen. Denn die Korkeichen am Straßenrand und auf den Hügeln um uns herum tragen kein einziges Blatt mehr, obwohl es erst September ist. Und die Baumstämme und Äste der Bäume sind kohlrabenschwarz. Es fühlt sich an, als würden wir durch eine Mad Max Kulisse fahren nach einer Apokalypse. Auch der Geruch ist nicht der nach frischem Wald. Zugetragen hat sich das im Jahr 1990. Wir waren als Studenten auf Tour und fröhlich gestimmt von der Route Napoleon abgefahren. Nun durchquerten wir zum ersten Mal das südfranzösische Maurengebirge in Richtung Côte d’Azur. Es war auch das erste Mal, dass wir die Auswirkungen eines verheerenden Waldbrandes gigantischen Ausmaßes unmittelbar erlebten, es sollte nicht das letzte Mal sein. Woher kommt der Name Massif des Maures? Das Gebirge befindet sich zwischen Hyères und Fréjus im Departement Var. Es erstreckt sich über eine Fläche von 135 000 Hektar und ist 60 km breit, über 130 km lang und bis zu 780 m hoch. Der Name der Gebirgskette, Massif des Maures (Maurengebirge), hat seinen Namen von der dunklen Farbe des Gesteins und seiner Bewaldung mit Kork- und Steineichen und ist wohl auf das okzitanische Wort maouro (schwarz) zurückzuführen. Der Name hat sich mit den Jahrhunderten immer wieder verändert: Montem Maurum, Maura, la Maura im Jahre 1529, las Mauras de Bormettas. Historiker und Linguisten vermuten, dass der Name „montagne noire“ (schwarzer Berg), zuerst im Singular als „la noire“ (der Schwarze) benutzt wurde (la Maura, in Latein und Provenzalisch) und später auch im Plural, da das Gebirge mehrere Gipfel aufweist. Zahlreiche markante Aussichtspunkte ermöglichen fantastische Ausblicke über die imposante Küste und kilometerweite Wälder im Landesinneren. Wer die Ruhe abseits der Touristenströme liebt und dem hippen Côte d’Azur-Lifestyle ab und zu den Rücken kehren möchte, ist hier goldrichtig. Man kann wandern und abgelegene Weingüter besichtigen, die, wie beispielsweise das Weingut Domaine Murennes, aufgrund schwerer Erreichbarkeit auch der Resistance einen Rückzugsort boten. Darüber schreibe ich aber ein anderes Mal. Mit der Waldbrandgefahr leben Auffällig im Massif de Maures sind allgegenwärtig Warn- und Verbotsschilder, die bei bestimmten Wetterlagen das Begehen der Wege verbieten, um damit die Gefahr von Waldbränden einzudämmen. Damit muss man rechnen und das ist auch gut so. Denn leider sind Waldbrände im Maurengebirge keine einmalige Katastrophe, sondern treten immer wieder auf. Sie gehen nicht immer glimpflich aus. Bei einigen der Brände starben Menschen. Bei allen Bränden sind Natur und Tiere betroffen. Die Korkeichen erholen sich meist wieder schnell, das gilt nicht für die ebenfalls ansässigen Schirmpinien, ganz zu schweige von den Tieren, die nicht schnell genug das Weite suchen können. Die Natur kann sich über mehrere Jahre hinweg regenerieren, die Landschaft wird aber eine andere sein. Und immer, wirklich immer, sind hunderte von Feuerwehrmännern bei den Waldbränden im Einsatz, um die Feuer zu bekämpfen, manchmal viele Tage lang und immer bis zur Erschöpfung und in der Hoffnung und mit Blick auf Wind und Wetter, ob sich das Schlimmste verhindern lässt. Warum schreibe ich darüber? Feuerwehrmänner: Helden auf Abruf Die Idee entstand diesen Sommer, als wir an einem wundervollen sonnigen Septembertag bei bestem Wetter oberhalb des Örtchens Bormes les Mimosas steil bergan durch den Korkeichenwald zur Chapelle Notre Dame de Constance wandern. Der Blick von oben ist herrlich. Nach einem etwa 30-minütigen Fußweg und mächtig durchgeschwitzt genießen wir den Ausblick über die Küste und die Inseln Iles d'Or und Iles du Levant von der Kapelle aus. Ein Stück weiter befindet sich eine Aussichtsplattform mit 360-Grad-Aussicht. Bei näherem Hinsehen fallen mir von weitem zwei Menschen in tieforangen Oberteilen auf, die auf der Plattform sitzen und sich unterhalten. Es sind Feuerwehrmänner, die hier Feuerwache halten. Für mich sind das zwei der Helden des Maurengebirges und ich möchte sie kennenlernen. Endlich zahlt sich für mich aus, dass ich seit etwa einem Jahr mein Schulfranzösisch mit einem Online-Kurs aufpoliere. Auffällig ist die Ruhe, die die beiden ausstrahlen. Das ist mir vertraut vom Kontakt zu Menschen, deren Arbeit darin besteht, in Ausnahmesituationen besonnen funktionieren zu müssen. Sehr entspannt und zugewandt gehen sie auf meine unperfekt auf Französisch formulierten Fragen ein. Oft treffe ich mittlerweile auf Französinnen und Franzosen, die lieber aufs Englische ausweichen, als Geduld für mein B1-Sprachniveau aufzubringen. Wir kommen ins Gespräch und unterhalten uns über Urlaube mit dem Wohnmobil, der eine der beiden fährt ein Hymermobil und ist davon begeistert. Als wir ihm berichten, dass wir etwa 40 km entfernt vom Hymer-Stammsitz in Deutschland unsere Heimat haben, ist er begeistert: „Eh bien, le monde est petit.“ (Die Welt ist klein.) Unsere Gesprächsthemen streifen nur am Rande die großen Brände von 2021 und 2017, die hier noch allen in Erinnerung sind. Vielleicht ist das normal. Es ist auf jeden Fall verständlich: Die beiden Feuerwehrmänner müssen sich konzentriert fokussieren, wenn Gefahr im Verzug ist. Jetzt plaudern sie, aber immer mit aufmerksamem Rund-um-Blick über die bewaldeten Hügel und immer mit halbem Ohr am Funkgerät, aus dem, begleitet von Knarzen und Rauschen, kurze Meldungen eingehen. Das ist der Moment, indem ich beschließe, den Blog über die Begegnung mit den beiden Feuerwehrmännern zu schreiben. Für mich sind sie stellvertretend für alle, die für die Sicherheit im Maurengebirge sorgen. Eine Präventionskampagne liefert nützliche Informationen für Touristen und Einheimischen: https://www.prevention-incendie-foret.com/ Konkrete Verhaltenstipps für Waldbesuche gibt es hier: https://www.prevention-incendie-foret.com/pratiques-a-risque/en-foret-interdiction-de-faire-feu Die Risikomeldungen werden zwischen Juni und September täglich aktualisiert: Zugangskarte zu den Waldgebieten des Var und Arbeitsvorschriften in den Waldgebieten des Var
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Auf diesen Text freue ich mich besonders: Es geht unerwartet um pure Lebensfreude, wenngleich es erst nach Stress aussieht, um spontane Entscheidungen und um Eis.
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