Mit Lukas im Wiener Untergrund

Alexandra Freund-Gobs • 16. Februar 2025

In einem 15 Meter tiefen Keller Wiens.

Wir treffen uns an einem Sonntagnachmittag im Februar im Arne-Karlsson-Park im neunten Wiener Bezirk. Von weitem erkennen wir die wartende Gruppe, bestehend aus 20 Personen. Mittendrin steht Lukas und sein Helfer, beide tragen weit sichtbar gelbe Warnwesten.
 
Ab in den Wiener Untergrund 

Wir wollen heute in den Wiener Untergrund und haben für die nächsten 90 Minuten eine Führung gebucht bei Lukas. Lukas Arnold ist fasziniert von verlorenen Orten in Wien und von dem, was sich unter Wien verbirgt. Deshalb hat der junge Mann vor sieben Jahren mit weiteren Interessierten einen Verein gegründet, die „Interessengemeinschaft zur Erforschung und Dokumentation unterirdischer Bauten“. Der gemeinnützige Verein beschäftigt sich leidenschaftlich mit der faszinierenden Unterwelt und der reichen Geschichte Wiens. Seit über sieben Jahren widmet sich Lukas Arnold und sein Team intensiv den unterirdischen Bauwerken der Stadt. Während sich seine Altersgenossen in Clubs vergnügen, hatte er laut eigenen Aussagen immer schon ein Faible für das, was sich unter Wien verbirgt. So geht er auch ganz auf in seinem Element, die Begeisterung ist für die nächsten anderthalb Stunden fühl- und spürbar. 

Zunächst gibt Lukas uns eine kleine Einführung, erklärt, dass der tiefste Keller, den wir besuchen werden, 15 Meter unter der Erde liegt und dass wir uns bei unserer Führung unter verschiedenen Häusern hin- und her bewegen werden. Es ist eisig kalt an dem Tag und alle freuen sich, als es losgeht. Da der Zugang zu den Kellern über ein privates Mietshaus erfolgt, dürfen wir nicht fotografieren und sollen beim Zutritt leise sein, so ist es mit den Eigentümern abgestimmt. 

Ein Verein voller geschichtsbegeisterter Wiener gräbt tief

Die erste Kelleretage sieht relativ normal aus, Zählerkasten, Spinnenweben und ein paar unbenutzte Fahrräder. Lukas erklärt, dass er Licht dabeihat, teilt aber an die, die sich so wohler fühlen, noch Taschenlampen aus. Ich greife beherzt zu. Dann geht es über eine steile Stiege immer weiter hinab, bis wir in einem Gewölbekeller stehen, der Boden ist nur gestampft. Wände und Decken bestehen aus gebrannten Ziegelsteinen. 

Die Größe ist gigantisch. Der Keller ist rund 20 Meter lang, fünf Meer breit und sechs Meter hoch. An der Decke befinden sich etliche Lüftungskanäle, die den Keller mit Frischluft versorgen. Eine Stahlleiter dient als Notausstieg in das darüber liegende Geschoss. In einem extra Raum befinden sich noch die nach Frauen und Männern getrennten WC-Abteile aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, als der Keller als Luftschutzkeller diente. Auch die Blecheimer stehen noch da. Kanalisation gab es nicht, nach Gebrauch der Eimer wurde Sägespäne oder Stroh darüber geschüttet. Man weiß nicht mehr genau, wie viele Menschen den Keller als Zuflucht vor Bomben im Zweiten Weltkrieg nutzten, es dürfen aber hunderte gewesen sein. Vor dem Zweiten Weltkrieg war der Keller als Lagerraum benutzt worden, da hier die Temperaturen über das Jahr hinweg konstant knapp über zehn Grad Celsius liegen. Spannend ist, dass von dem Keller aus diverse Verbindungsgänge zu den Kelleranlagen der benachbarten Häuser bestehen, die zum Teil verschüttet sind. Man kann sich die Größe eines großstädtischen Untergrundlebens gut vorstellen. 
Einen Hinweis gibt Lukas hier auch auf das Leben im Wiener Untergrund, welches mit Errichtung der Wiener Kanalisation Ende des 19. Jahrhunderts begann, zur Zuflucht für Arbeits- und Obdachlose zu werden. Stellen- und Obdachlose verbrachten einen großen Teil ihrer Tage mit dem Herausfischen von Gegenständen aus den Abwässern, dem so genannten „Strotten“. Einige Strotter – aber auch mehrere Obdachlose – lebten in der Kanalisation, wo sie in manchen Gängen, Kammern und Luftschächten Möglichkeiten zum „Wohnen“ vorfanden. Die Zahl der Strotter und Obdachlosen nahm erst ab, als 1934 die „Kanalbrigade“ gegründet wurde, die gegen kriminelle Banden und gegen Vagabunden härter vorgehen sollte. Das zeigt hier auch ein großes Schwarzweißfoto aus dem bekannten Film "Der dritte Mann", auf dem die sogenannte Kanalbrigade abgebildet ist. 
 
Lukas erzählt, dass sein Team aus geschichtsbegeisterten Wienerinnen und Wienern besteht, die mehr über ihre eigene Stadtgeschichte erfahren möchten und dieses Wissen gerne mit der Bevölkerung teilen. Hierzu wird in Archiven gestöbert und historische Zeitungen durchkämt. So erschließen sich einzelne Puzzleteile, wo sich ein interessanter Keller befinden kann und seit wann es ihn möglicherweise gibt. 

Der Keller, in dem wir uns befinden, war im hinteren Teil verschüttet, auch hier versucht Lukas herauszufinden, wann und warum das geschehen ist. Der vordere Teil des Kellers stammt aus dem 19. Jahrhundert. Ziel des Vereins ist, so viele Anlagen wie möglich zu dokumentieren und zu schützen, bevor sie umgebaut oder abgerissen werden. Darüber hinaus versucht das Team, die Anlagen behutsam instand zu halten. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie viel Arbeit es war, den Keller, in dem wir nun stehen, einigermaßen begehbar zu machen.
 
Geschichten von Zeitzeugen machen Geschichte lebendig

Einen großen Teil der Führung nimmt das Thema Zweiter Weltkrieg in Anspruch. Ich kenne die Thematik aus meiner Familie. Meine Großmutter hat einen Großteil des Krieges in Berlin gelebt und ich bin mit ihren Geschichten über die Bombenangriffe und Zeiten in den Schutzbunkern quasi aufgewachsen. Deshalb ist mir auch nicht ganz wohl hier unten, mir kommt das, was Lukas erzählt, sehr vertraut vor. Es ist wichtig, darüber zu berichten, erklärt Lukas seinen Enthusiasmus. Mit einem "Zeitzeugen Projekt" sucht der Verein Damen und Herren im Alter von 85-97 Jahren auf, um mit ihnen zu sprechen und von ihnen persönliche Erlebnisse und Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg zu erfahren. Wenige Monate vor unserem Besichtigungstermin war eine Zeitzeugin gestorben. Lukas hatte sie kurz davor noch interviewt. Das Interview durfte er aufzeichnen, er spielt einen Teil daraus auf einem Tablet ab. Wir stehen etwa da, wo die Dame, damals 15-jährig, mit ihrer Mutter gestanden haben muss. Was sie in der Aufnahme erzählt, ist so eindrücklich erschütternd, dass sich keiner der Besucher dem entziehen kann. Denn der Keller wurde bei einem der Bombenalarme von Wasser geflutet, das Wasser stieg langsam hoch, nicht alle überlebten diese Katastrophe in der Katastrophe. 

Die Keller sind nichts für schwache Nerven 

Das Bild, das wir bei der Führung an diesem Nachmittag vermittelt bekommen, ist vielschichtig. Es ist nichts für schwache Nerven oder zarte Gemüter. Das sei hier gleich vorweggenommen. Aber man darf an einigen der Puzzleteilen, die Lukas und der Verein in mühevoller Kleinarbeit zusammengesammelt hat, teilhaben. Die Geschichte reicht zurück bis zu der Zeit, als Wien von den Türken belagert worden war und man in bereits damals bestehenden Kellern Fässer aufgestellt und darauf trockene Linsen gelegt hatte. Diese List diente dazu, zu erkennen, wann die Türken sich in der Nähe befanden, denn die Linsen begannen dann aufgrund der durch die Schritte vieler Menschen hervorgerufenen Erschütterungen zu hüpfen. 

Wer mehr über „Verfallene Orte in Wien“ wissen möchte, kann das Buch von Lukas Arnold und Marcello La Speranza erwerben. Auf dem Foto (Fotografie: Alexandra Freund-Gobs) ist Lukas Arnold mit dem Buch abgebildet.

Wer Interesse hat an einer Tour durch Wiens Untergrund, wird hier fündig: https://www.unterwien.at/

Stuttgart-Wien-und-mehr

von Alexandra Freund-Gobs 16. November 2025
Die Dämmerung breitet sich in der Umgebung aus und zu hören ist nur der beruhigende, blubbernde Motor unseres alten VW Käfers. Ansonsten hört man kein Geräusch. Ein bisschen fühlt es sich an wie nach Neuschnee, alles scheint in Watte gepackt. Da wir uns aber mitten in einem Naturschutzgebiet befinden, ist das unnatürlich. Normalerweise kündigen Vögel mit ihrem Abendgesang die Nacht an, hier ist es absolut still. Auch der Wind verursacht kein Blätterrauschen. Denn die Korkeichen am Straßenrand und auf den Hügeln um uns herum tragen kein einziges Blatt mehr, obwohl es erst September ist. Und die Baumstämme und Äste der Bäume sind kohlrabenschwarz. Es fühlt sich an, als würden wir durch eine Mad Max Kulisse fahren nach einer Apokalypse. Auch der Geruch ist nicht der nach frischem Wald. Zugetragen hat sich das im Jahr 1990. Wir waren als Studenten auf Tour und fröhlich gestimmt von der Route Napoleon abgefahren. Nun durchquerten wir zum ersten Mal das südfranzösische Maurengebirge in Richtung Côte d’Azur. Es war auch das erste Mal, dass wir die Auswirkungen eines verheerenden Waldbrandes gigantischen Ausmaßes unmittelbar erlebten, es sollte nicht das letzte Mal sein. Woher kommt der Name Massif des Maures? Das Gebirge befindet sich zwischen Hyères und Fréjus im Departement Var. Es erstreckt sich über eine Fläche von 135 000 Hektar und ist 60 km breit, über 130 km lang und bis zu 780 m hoch. Der Name der Gebirgskette, Massif des Maures (Maurengebirge), hat seinen Namen von der dunklen Farbe des Gesteins und seiner Bewaldung mit Kork- und Steineichen und ist wohl auf das okzitanische Wort maouro (schwarz) zurückzuführen. Der Name hat sich mit den Jahrhunderten immer wieder verändert: Montem Maurum, Maura, la Maura im Jahre 1529, las Mauras de Bormettas. Historiker und Linguisten vermuten, dass der Name „montagne noire“ (schwarzer Berg), zuerst im Singular als „la noire“ (der Schwarze) benutzt wurde (la Maura, in Latein und Provenzalisch) und später auch im Plural, da das Gebirge mehrere Gipfel aufweist. Zahlreiche markante Aussichtspunkte ermöglichen fantastische Ausblicke über die imposante Küste und kilometerweite Wälder im Landesinneren. Wer die Ruhe abseits der Touristenströme liebt und dem hippen Côte d’Azur-Lifestyle ab und zu den Rücken kehren möchte, ist hier goldrichtig. Man kann wandern und abgelegene Weingüter besichtigen, die, wie beispielsweise das Weingut Domaine Murennes, aufgrund schwerer Erreichbarkeit auch der Resistance einen Rückzugsort boten. Darüber schreibe ich aber ein anderes Mal. Mit der Waldbrandgefahr leben Auffällig im Massif de Maures sind allgegenwärtig Warn- und Verbotsschilder, die bei bestimmten Wetterlagen das Begehen der Wege verbieten, um damit die Gefahr von Waldbränden einzudämmen. Damit muss man rechnen und das ist auch gut so. Denn leider sind Waldbrände im Maurengebirge keine einmalige Katastrophe, sondern treten immer wieder auf. Sie gehen nicht immer glimpflich aus. Bei einigen der Brände starben Menschen. Bei allen Bränden sind Natur und Tiere betroffen. Die Korkeichen erholen sich meist wieder schnell, das gilt nicht für die ebenfalls ansässigen Schirmpinien, ganz zu schweige von den Tieren, die nicht schnell genug das Weite suchen können. Die Natur kann sich über mehrere Jahre hinweg regenerieren, die Landschaft wird aber eine andere sein. Und immer, wirklich immer, sind hunderte von Feuerwehrmännern bei den Waldbränden im Einsatz, um die Feuer zu bekämpfen, manchmal viele Tage lang und immer bis zur Erschöpfung und in der Hoffnung und mit Blick auf Wind und Wetter, ob sich das Schlimmste verhindern lässt. Warum schreibe ich darüber? Feuerwehrmänner: Helden auf Abruf Die Idee entstand diesen Sommer, als wir an einem wundervollen sonnigen Septembertag bei bestem Wetter oberhalb des Örtchens Bormes les Mimosas steil bergan durch den Korkeichenwald zur Chapelle Notre Dame de Constance wandern. Der Blick von oben ist herrlich. Nach einem etwa 30-minütigen Fußweg und mächtig durchgeschwitzt genießen wir den Ausblick über die Küste und die Inseln Iles d'Or und Iles du Levant von der Kapelle aus. Ein Stück weiter befindet sich eine Aussichtsplattform mit 360-Grad-Aussicht. Bei näherem Hinsehen fallen mir von weitem zwei Menschen in tieforangen Oberteilen auf, die auf der Plattform sitzen und sich unterhalten. Es sind Feuerwehrmänner, die hier Feuerwache halten. Für mich sind das zwei der Helden des Maurengebirges und ich möchte sie kennenlernen. Endlich zahlt sich für mich aus, dass ich seit etwa einem Jahr mein Schulfranzösisch mit einem Online-Kurs aufpoliere. Auffällig ist die Ruhe, die die beiden ausstrahlen. Das ist mir vertraut vom Kontakt zu Menschen, deren Arbeit darin besteht, in Ausnahmesituationen besonnen funktionieren zu müssen. Sehr entspannt und zugewandt gehen sie auf meine unperfekt auf Französisch formulierten Fragen ein. Oft treffe ich mittlerweile auf Französinnen und Franzosen, die lieber aufs Englische ausweichen, als Geduld für mein B1-Sprachniveau aufzubringen. Wir kommen ins Gespräch und unterhalten uns über Urlaube mit dem Wohnmobil, der eine der beiden fährt ein Hymermobil und ist davon begeistert. Als wir ihm berichten, dass wir etwa 40 km entfernt vom Hymer-Stammsitz in Deutschland unsere Heimat haben, ist er begeistert: „Eh bien, le monde est petit.“ (Die Welt ist klein.) Unsere Gesprächsthemen streifen nur am Rande die großen Brände von 2021 und 2017, die hier noch allen in Erinnerung sind. Vielleicht ist das normal. Es ist auf jeden Fall verständlich: Die beiden Feuerwehrmänner müssen sich konzentriert fokussieren, wenn Gefahr im Verzug ist. Jetzt plaudern sie, aber immer mit aufmerksamem Rund-um-Blick über die bewaldeten Hügel und immer mit halbem Ohr am Funkgerät, aus dem, begleitet von Knarzen und Rauschen, kurze Meldungen eingehen. Das ist der Moment, indem ich beschließe, den Blog über die Begegnung mit den beiden Feuerwehrmännern zu schreiben. Für mich sind sie stellvertretend für alle, die für die Sicherheit im Maurengebirge sorgen. Eine Präventionskampagne liefert nützliche Informationen für Touristen und Einheimischen: https://www.prevention-incendie-foret.com/ Konkrete Verhaltenstipps für Waldbesuche gibt es hier: https://www.prevention-incendie-foret.com/pratiques-a-risque/en-foret-interdiction-de-faire-feu Die Risikomeldungen werden zwischen Juni und September täglich aktualisiert: Zugangskarte zu den Waldgebieten des Var und Arbeitsvorschriften in den Waldgebieten des Var
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Auf diesen Text freue ich mich besonders: Es geht unerwartet um pure Lebensfreude, wenngleich es erst nach Stress aussieht, um spontane Entscheidungen und um Eis.
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