Prater in der Früh - Alberner Hafen am Mittag

Alexandra Freund-Gobs • 11. Mai 2023

Gemächlichkeit im Prater - gigantische Speicher im Hafen.

Endlich wieder Wien. Ich hatte mir vorgenommen, mit der Kamera loszuziehen. Prater und Alberner Hafen stehen für heute auf dem Programm. Der Prater öffnet in der Sommerzeit um zehn. Ich will um acht dort sein - die Wiener Gelassenheit hat mich allerdings schon am ersten Tag erwischt. Gegen neun stehe ich endlich vor dem kleineren Riesenrad. Das Wetter ist perfekt, Sonne und Wolken wechseln sich ab. 

Die Kulisse hinter der Kulisse

Ich kenne den Prater, wenn es hier kreischt, brummt und lacht. Jetzt herrscht eine fast meditative und gleichzeitig geschäftige Arbeitsruhe. An der einen Ecke streicht ein Mann eine Bude mit frischem Grün an, an der anderen Ecke hält ein Schausteller mit knallrotem Hut den Blick nach unten gesenkt und daddelt auf seinem Handy. Eine Würstelverkäuferin saust mit ihrem Fahrrad heran, schließt die Buden-Tür auf und zieht drinnen gemächlich die Rollläden hoch. Um die Ecke ein vertrautes Geräusch, eine Kettensäge - Baumkletterer bewegen sich an einer Allee behände durchs Geäst und erledigen den Baumschnitt.  Ein paar Jogger rennen an mir vorbei. Ein Hundebesitzer, männlich, mittleren Alters, gut gekleidet, rennt seinem ausgebüxten Köter hinterher. Fantastisch, genau so hatte ich mir das gedacht. Ich wollte das Gesicht hinter dem Prater sehen und wissen, wie es sich vor dem Hype eines Rummel-Tages anfühlt, hier zu flanieren. Wer also mal die Kulisse hinter der Kulisse sucht, ist am Morgen vor den offiziellen Öffnungszeiten auf dem Prater genau richtig.
Nach einem leckeren Frühstück im Ponykarussell - das ist ein buntes Café voller  Pflanzen mitten im Prater - mache ich mich auf den Weg an den Alberner Hafen. Egal, von wo aus man startet, die letzten Kilometer muss man mit dem Bus zurücklegen, mit dem Fahrrad oder zu Fuß. 

Woher soll i wissn, wanns ausstaign müssn

Ich fahre mit dem Bus von der Donau Marina ab. Da ich den Bus einmal wechseln muss, setze ich mich schon mal vorsorglich in Nähe des Busfahrers. Alles um mich herum quatscht laut  - keine Chance die Ansagen der kommenden Haltestellen zu hören. Also frage ich den Busfahrer, wann meine Haltestelle dran ist. Der Wiener gilt ja im allgemeinen als grantig, unfreundlich und raunzend. Am besten, man raunzt also zurück. Der Busfahrer schaut mich kurz vorwurfsvoll an. Dann regnet es einen Schwall auf mich nieder, der in etwa so klingt: "I foar die Streckn das erste Moal. Woher soll i wissn, wann's ausstaign müssn. I kenn die Hoaltestelln no ned aswendig. Soagn's doch ainfach aine Adressn, Dann helf i waida."  Ich übersetze das in etwa so: Ich fahre die Strecke heute das erste Mal. Woher soll ich wissen, wann welche Haltestelle kommt. Sagen Sie mir doch eine Adresse, wo Sie hinwollen, dann helfe ich Ihnen weiter. Ich: "Alberner Hafen". Er wiederholt im Prinzip den Teil eins. Ich nochmal: "Alberner Hafen".  Fast flippt der Busfahrer jetzt aus: "Wolln's zum Friedhof?" Bevor ich jetzt darüber nachdenken kann, ob er den Alberner Friedhof oder den Friedhof der Namenlosen meint, ist Gott sei Dank eine Haltestelle in Sicht. Ich signalisiere, dass ich hier aussteige. Er hält mit quietschenden Reifen und ist offenkundig froh, mich loszuhaben. 

Ist der Wiener wirklich grantig, wenn er raunzt?

Auf dem Weg zur nächsten Haltestelle, wundersamer Weise bin ich tatsächlich an der korrekten Haltestelle aus dem Bus, mache ich mir Gedanken über das Gespräch. Wiener haben schon eine gewisse Grundarroganz. Stuttgarter übrigens auch. Und Berliner? Na davon lieber ein andermal. "Meinen" Wiener Busfahrer fand ich raunzig, aber nicht grantig. Er war einfach sichtlich darüber genervt, dass er etwas nicht wusste. 

Alberner Hafen und Friedhof der Namenlosen

Eine halbe Stunde stehe ich im Nirgendwo auf einer geschotterten Straßeneinbuchtung. Nur ein H Schild zeigt, dass hier eine offizielle Bushaltestelle ist. Autos und LKWs rauschen an mir vorbei, bis der Bus kommt. Etliche Haltestopps später lande ich am Alberner Hafen. Er liegt mitten  am äußersten östlichen Ende Wiens, im 11. Wiener Gemeindebezirk Simmering - umgeben von den Donauauen. Geplant und errichtet worden war der Hafen in der NS-Zeit als Teil eines Donau-Großhafens. Über die Geschichte findet man im Online Magazin des Wienmuseums interessante Infos.  Imposant anzusehen sind hier zum Beispiel vier riesengroße und ein etwas kleinerer Speicher, die laut Wienmuseum ab 1936 errichtet worden waren und allesamt auch über Luftschutzkeller verfüg(t)en. Läuft man an den Speichern vorbei, ist der Friedhof der Namenlosen nicht weit. In Anbetracht des Zentralfriedhofs oder des Marxer Friedhofs hatte ich mir ein großes Gelände vorgestellt. Aber der Friedhof (eigentlich zwei Friedhöfe, ein älterer und ein neuerer)  ist eher wie ein beschaulicher, von Bäumen umrahmter Garten mit eine Vielzahl von Eisenkreuzen, bewacht von der Auferstehungskappelle. Hier ruhen Menschen, die bis etwa 1940 von der Donau angeschwemmt wurden und nicht mehr identifiziert werden konnten. Heute werden übrigens unbekannte Tote aus der Donau auf dem Zentralfriedhof bestattet. 

Nach diesem ungewöhnlichen Ausflug beschließe ich, den Rest des Tag an der Alten Donau zu verbringen. Aber davon ein andermal.






Stuttgart-Wien-und-mehr

von Alexandra Freund-Gobs 16. November 2025
Die Dämmerung breitet sich in der Umgebung aus und zu hören ist nur der beruhigende, blubbernde Motor unseres alten VW Käfers. Ansonsten hört man kein Geräusch. Ein bisschen fühlt es sich an wie nach Neuschnee, alles scheint in Watte gepackt. Da wir uns aber mitten in einem Naturschutzgebiet befinden, ist das unnatürlich. Normalerweise kündigen Vögel mit ihrem Abendgesang die Nacht an, hier ist es absolut still. Auch der Wind verursacht kein Blätterrauschen. Denn die Korkeichen am Straßenrand und auf den Hügeln um uns herum tragen kein einziges Blatt mehr, obwohl es erst September ist. Und die Baumstämme und Äste der Bäume sind kohlrabenschwarz. Es fühlt sich an, als würden wir durch eine Mad Max Kulisse fahren nach einer Apokalypse. Auch der Geruch ist nicht der nach frischem Wald. Zugetragen hat sich das im Jahr 1990. Wir waren als Studenten auf Tour und fröhlich gestimmt von der Route Napoleon abgefahren. Nun durchquerten wir zum ersten Mal das südfranzösische Maurengebirge in Richtung Côte d’Azur. Es war auch das erste Mal, dass wir die Auswirkungen eines verheerenden Waldbrandes gigantischen Ausmaßes unmittelbar erlebten, es sollte nicht das letzte Mal sein. Woher kommt der Name Massif des Maures? Das Gebirge befindet sich zwischen Hyères und Fréjus im Departement Var. Es erstreckt sich über eine Fläche von 135 000 Hektar und ist 60 km breit, über 130 km lang und bis zu 780 m hoch. Der Name der Gebirgskette, Massif des Maures (Maurengebirge), hat seinen Namen von der dunklen Farbe des Gesteins und seiner Bewaldung mit Kork- und Steineichen und ist wohl auf das okzitanische Wort maouro (schwarz) zurückzuführen. Der Name hat sich mit den Jahrhunderten immer wieder verändert: Montem Maurum, Maura, la Maura im Jahre 1529, las Mauras de Bormettas. Historiker und Linguisten vermuten, dass der Name „montagne noire“ (schwarzer Berg), zuerst im Singular als „la noire“ (der Schwarze) benutzt wurde (la Maura, in Latein und Provenzalisch) und später auch im Plural, da das Gebirge mehrere Gipfel aufweist. Zahlreiche markante Aussichtspunkte ermöglichen fantastische Ausblicke über die imposante Küste und kilometerweite Wälder im Landesinneren. Wer die Ruhe abseits der Touristenströme liebt und dem hippen Côte d’Azur-Lifestyle ab und zu den Rücken kehren möchte, ist hier goldrichtig. Man kann wandern und abgelegene Weingüter besichtigen, die, wie beispielsweise das Weingut Domaine Murennes, aufgrund schwerer Erreichbarkeit auch der Resistance einen Rückzugsort boten. Darüber schreibe ich aber ein anderes Mal. Mit der Waldbrandgefahr leben Auffällig im Massif de Maures sind allgegenwärtig Warn- und Verbotsschilder, die bei bestimmten Wetterlagen das Begehen der Wege verbieten, um damit die Gefahr von Waldbränden einzudämmen. Damit muss man rechnen und das ist auch gut so. Denn leider sind Waldbrände im Maurengebirge keine einmalige Katastrophe, sondern treten immer wieder auf. Sie gehen nicht immer glimpflich aus. Bei einigen der Brände starben Menschen. Bei allen Bränden sind Natur und Tiere betroffen. Die Korkeichen erholen sich meist wieder schnell, das gilt nicht für die ebenfalls ansässigen Schirmpinien, ganz zu schweige von den Tieren, die nicht schnell genug das Weite suchen können. Die Natur kann sich über mehrere Jahre hinweg regenerieren, die Landschaft wird aber eine andere sein. Und immer, wirklich immer, sind hunderte von Feuerwehrmännern bei den Waldbränden im Einsatz, um die Feuer zu bekämpfen, manchmal viele Tage lang und immer bis zur Erschöpfung und in der Hoffnung und mit Blick auf Wind und Wetter, ob sich das Schlimmste verhindern lässt. Warum schreibe ich darüber? Feuerwehrmänner: Helden auf Abruf Die Idee entstand diesen Sommer, als wir an einem wundervollen sonnigen Septembertag bei bestem Wetter oberhalb des Örtchens Bormes les Mimosas steil bergan durch den Korkeichenwald zur Chapelle Notre Dame de Constance wandern. Der Blick von oben ist herrlich. Nach einem etwa 30-minütigen Fußweg und mächtig durchgeschwitzt genießen wir den Ausblick über die Küste und die Inseln Iles d'Or und Iles du Levant von der Kapelle aus. Ein Stück weiter befindet sich eine Aussichtsplattform mit 360-Grad-Aussicht. Bei näherem Hinsehen fallen mir von weitem zwei Menschen in tieforangen Oberteilen auf, die auf der Plattform sitzen und sich unterhalten. Es sind Feuerwehrmänner, die hier Feuerwache halten. Für mich sind das zwei der Helden des Maurengebirges und ich möchte sie kennenlernen. Endlich zahlt sich für mich aus, dass ich seit etwa einem Jahr mein Schulfranzösisch mit einem Online-Kurs aufpoliere. Auffällig ist die Ruhe, die die beiden ausstrahlen. Das ist mir vertraut vom Kontakt zu Menschen, deren Arbeit darin besteht, in Ausnahmesituationen besonnen funktionieren zu müssen. Sehr entspannt und zugewandt gehen sie auf meine unperfekt auf Französisch formulierten Fragen ein. Oft treffe ich mittlerweile auf Französinnen und Franzosen, die lieber aufs Englische ausweichen, als Geduld für mein B1-Sprachniveau aufzubringen. Wir kommen ins Gespräch und unterhalten uns über Urlaube mit dem Wohnmobil, der eine der beiden fährt ein Hymermobil und ist davon begeistert. Als wir ihm berichten, dass wir etwa 40 km entfernt vom Hymer-Stammsitz in Deutschland unsere Heimat haben, ist er begeistert: „Eh bien, le monde est petit.“ (Die Welt ist klein.) Unsere Gesprächsthemen streifen nur am Rande die großen Brände von 2021 und 2017, die hier noch allen in Erinnerung sind. Vielleicht ist das normal. Es ist auf jeden Fall verständlich: Die beiden Feuerwehrmänner müssen sich konzentriert fokussieren, wenn Gefahr im Verzug ist. Jetzt plaudern sie, aber immer mit aufmerksamem Rund-um-Blick über die bewaldeten Hügel und immer mit halbem Ohr am Funkgerät, aus dem, begleitet von Knarzen und Rauschen, kurze Meldungen eingehen. Das ist der Moment, indem ich beschließe, den Blog über die Begegnung mit den beiden Feuerwehrmännern zu schreiben. Für mich sind sie stellvertretend für alle, die für die Sicherheit im Maurengebirge sorgen. Eine Präventionskampagne liefert nützliche Informationen für Touristen und Einheimischen: https://www.prevention-incendie-foret.com/ Konkrete Verhaltenstipps für Waldbesuche gibt es hier: https://www.prevention-incendie-foret.com/pratiques-a-risque/en-foret-interdiction-de-faire-feu Die Risikomeldungen werden zwischen Juni und September täglich aktualisiert: Zugangskarte zu den Waldgebieten des Var und Arbeitsvorschriften in den Waldgebieten des Var
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