Streifzüge durch Stuttgart
Alexandra Freund-Gobs • 14. April 2023
Vom Land in die Stadt -ohne Handy unterwegs nach Stuttgart
Ich bin quasi ein Landei. Meine Heimat ist Oberschwaben. "Wo liegt das?", werde ich regelmäßig gefragt, wenn ich mich außerhalb Oberschwabens befinde. Meine Erklärung ist dann in etwa wie folgt: "Bodensee kennen Sie? Schwäbische Alb auch? Und was liegt dazwischen?" Dann kommt in aller Regel ein fragender Gesichtsausdruck - mein Moment: "Genau, dazwischen liegt ein großes weites Nichts. Das ist Oberschwaben." Ich mag Oberschwaben, es gibt hier sehr viel abwechslungsreiche Natur, bezaubernde Städtchen und man kann sich problemlos nach Süden, nach Norden, nach Osten und nach Westen fortbewegen - weil alles von hier aus gleich weit weg scheint, selbst die Autobahn. Man kann mit dem Zug fahren, ja, aber die letzten Kilometer sind oftmals sehr beschwerlich, keine direkte Anbindung, Zug fällt aus usw., usw. Manchmal fällt mir die Decke auf den Kopf und ich muss raus. So nutzte ich letztens einen wichtigen Termin in Stuttgart für die 'kleine Landauszeit'. Nach dem Termin wollte ich mich noch mit meinem Sohn treffen. Eine Autofahrt nach Stuttgart bedeutet von der tiefsten oberschwäbischen Provinz aus einen Tagesausflug. Eine einfache Fahrt dauert, je nach Verkehr, zwei Stunden plus. Da ist schon ein gewisses Pensum Planung angeraten. Wichtiges Utensil: Handy. Im Auto, um Musik zu hören ohne Werbeunterbrechungen. Vor dem Termin als Uhr und zum Familientreffen, um letzte Zeit-Updates auszuloten.
Bordcomputer signalisiert: Handy nicht an Bord.
Nach dem Losfahren genieße ich erst mal die Ruhe, nach 30 Minuten wird es mir zu still und ich möchte Musik hören. Der Bordcomputer sagt: Kein Gerät verfügbar. Wie, kein Gerät verfügbar? Wo ist mein Handy, ist es noch aus? Mein Nacken spannt sich an. Wozu genau brauche ich heute ein nochmal das Handy? Ich gehe meinen Tag in Gedanken durch und hoffe immer noch, dass das Handy einfach keine Bluetooth-Verbindung zum Bordcomputer des Autos hat. Trotzdem schießt durch den Kopf, dass es schon irre ist, in Panik zu geraten, nur weil ein kleines Gerät in Größe einer Tafel Schokolade nicht dabei ist – etwas, worauf ich in den ersten 40 Jahren meines Lebens problemlos verzichten konnte. In Reutlingen durchsuche ich an einer Tankstelle das komplette Auto. Das Handy ist definitiv nicht dabei. Also rein in die Tankstelle, an der Kasse mit einem netten Lächeln um ein Telefon bitten und die Familie informieren, dass ich ohne Handy zwar zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten Ort ansteuern kann, aber ein "sorry, klappt doch erst eine Stunde später" heute bei mir nicht zieht.
Ohne Handy ist man Exot
So langsam fange ich an, den handylosen Tag zu genießen. In Stuttgart klappt alles tadellos, ich nutze die Rathausuhr, um pünktlich bei meinem Termin einzutreffen. Auf der Königsstraße fällt mir auf, dass jede und jeder, egal ob 15, 50 oder 75 Jahre alt, ein Handy in einer Hand hat und entweder rein spricht oder etwas im Handy anschaut. Ich bin der Exot, der mit freien Händen durch die Stadt läuft. Mein Fazit des Tages ohne Handy fällt durchweg positiv aus. Nicht ständig informiert darüber zu sein, welche Nachrichten durch die Welt geistern, wer welchen Status online gestellt hat und welche E-Mails mich aktuell erreichen, ist unglaublich entspannend. Ich habe mich in den letzten Jahren bei einem Bummel durch Stadt selten so entspannt wie bei einem Waldspaziergang in Oberschwaben ohne Handynetz. Ich war voll konzentriert auf das, was ich gesehen und gemacht habe. Ich hatte supernette spontane Smalltalk-Gespräche. Als ich an der Weinsteige den tollen Ausblick über Stuttgart genießen wollte, hatte ich eine Begegnung mit einem älteren Stuttgarter Pärchen, das ein gemütliches Picknick am Santiago de Chile Platz genossen hat. Dabei erfuhr ich vieles über besondere Stuttgarter Locations, die von unserem Aussichtspunkt zu sehen waren und die ich "unbedingt besuchen" müsste. Hätte ich das Handy dabeigehabt, hätte ich die Aussicht fotografiert, die Bilder in den Familienchat gestellt und mich überhaupt hinter meinem Handy versteckt. Und mir wäre nicht aufgefallen, dass in dem Kinderwagen des Pärchens ein kleiner Hund gesessen hat. So steckte der Tag voller Überraschungen mit Dingen, die eigentlich (fast) alltäglich sind.
Stuttgart-Wien-und-mehr

Die Dämmerung breitet sich in der Umgebung aus und zu hören ist nur der beruhigende, blubbernde Motor unseres alten VW Käfers. Ansonsten hört man kein Geräusch. Ein bisschen fühlt es sich an wie nach Neuschnee, alles scheint in Watte gepackt. Da wir uns aber mitten in einem Naturschutzgebiet befinden, ist das unnatürlich. Normalerweise kündigen Vögel mit ihrem Abendgesang die Nacht an, hier ist es absolut still. Auch der Wind verursacht kein Blätterrauschen. Denn die Korkeichen am Straßenrand und auf den Hügeln um uns herum tragen kein einziges Blatt mehr, obwohl es erst September ist. Und die Baumstämme und Äste der Bäume sind kohlrabenschwarz. Es fühlt sich an, als würden wir durch eine Mad Max Kulisse fahren nach einer Apokalypse. Auch der Geruch ist nicht der nach frischem Wald. Zugetragen hat sich das im Jahr 1990. Wir waren als Studenten auf Tour und fröhlich gestimmt von der Route Napoleon abgefahren. Nun durchquerten wir zum ersten Mal das südfranzösische Maurengebirge in Richtung Côte d’Azur. Es war auch das erste Mal, dass wir die Auswirkungen eines verheerenden Waldbrandes gigantischen Ausmaßes unmittelbar erlebten, es sollte nicht das letzte Mal sein. Woher kommt der Name Massif des Maures? Das Gebirge befindet sich zwischen Hyères und Fréjus im Departement Var. Es erstreckt sich über eine Fläche von 135 000 Hektar und ist 60 km breit, über 130 km lang und bis zu 780 m hoch. Der Name der Gebirgskette, Massif des Maures (Maurengebirge), hat seinen Namen von der dunklen Farbe des Gesteins und seiner Bewaldung mit Kork- und Steineichen und ist wohl auf das okzitanische Wort maouro (schwarz) zurückzuführen. Der Name hat sich mit den Jahrhunderten immer wieder verändert: Montem Maurum, Maura, la Maura im Jahre 1529, las Mauras de Bormettas. Historiker und Linguisten vermuten, dass der Name „montagne noire“ (schwarzer Berg), zuerst im Singular als „la noire“ (der Schwarze) benutzt wurde (la Maura, in Latein und Provenzalisch) und später auch im Plural, da das Gebirge mehrere Gipfel aufweist. Zahlreiche markante Aussichtspunkte ermöglichen fantastische Ausblicke über die imposante Küste und kilometerweite Wälder im Landesinneren. Wer die Ruhe abseits der Touristenströme liebt und dem hippen Côte d’Azur-Lifestyle ab und zu den Rücken kehren möchte, ist hier goldrichtig. Man kann wandern und abgelegene Weingüter besichtigen, die, wie beispielsweise das Weingut Domaine Murennes, aufgrund schwerer Erreichbarkeit auch der Resistance einen Rückzugsort boten. Darüber schreibe ich aber ein anderes Mal. Mit der Waldbrandgefahr leben Auffällig im Massif de Maures sind allgegenwärtig Warn- und Verbotsschilder, die bei bestimmten Wetterlagen das Begehen der Wege verbieten, um damit die Gefahr von Waldbränden einzudämmen. Damit muss man rechnen und das ist auch gut so. Denn leider sind Waldbrände im Maurengebirge keine einmalige Katastrophe, sondern treten immer wieder auf. Sie gehen nicht immer glimpflich aus. Bei einigen der Brände starben Menschen. Bei allen Bränden sind Natur und Tiere betroffen. Die Korkeichen erholen sich meist wieder schnell, das gilt nicht für die ebenfalls ansässigen Schirmpinien, ganz zu schweige von den Tieren, die nicht schnell genug das Weite suchen können. Die Natur kann sich über mehrere Jahre hinweg regenerieren, die Landschaft wird aber eine andere sein. Und immer, wirklich immer, sind hunderte von Feuerwehrmännern bei den Waldbränden im Einsatz, um die Feuer zu bekämpfen, manchmal viele Tage lang und immer bis zur Erschöpfung und in der Hoffnung und mit Blick auf Wind und Wetter, ob sich das Schlimmste verhindern lässt. Warum schreibe ich darüber? Feuerwehrmänner: Helden auf Abruf Die Idee entstand diesen Sommer, als wir an einem wundervollen sonnigen Septembertag bei bestem Wetter oberhalb des Örtchens Bormes les Mimosas steil bergan durch den Korkeichenwald zur Chapelle Notre Dame de Constance wandern. Der Blick von oben ist herrlich. Nach einem etwa 30-minütigen Fußweg und mächtig durchgeschwitzt genießen wir den Ausblick über die Küste und die Inseln Iles d'Or und Iles du Levant von der Kapelle aus. Ein Stück weiter befindet sich eine Aussichtsplattform mit 360-Grad-Aussicht. Bei näherem Hinsehen fallen mir von weitem zwei Menschen in tieforangen Oberteilen auf, die auf der Plattform sitzen und sich unterhalten. Es sind Feuerwehrmänner, die hier Feuerwache halten. Für mich sind das zwei der Helden des Maurengebirges und ich möchte sie kennenlernen. Endlich zahlt sich für mich aus, dass ich seit etwa einem Jahr mein Schulfranzösisch mit einem Online-Kurs aufpoliere. Auffällig ist die Ruhe, die die beiden ausstrahlen. Das ist mir vertraut vom Kontakt zu Menschen, deren Arbeit darin besteht, in Ausnahmesituationen besonnen funktionieren zu müssen. Sehr entspannt und zugewandt gehen sie auf meine unperfekt auf Französisch formulierten Fragen ein. Oft treffe ich mittlerweile auf Französinnen und Franzosen, die lieber aufs Englische ausweichen, als Geduld für mein B1-Sprachniveau aufzubringen. Wir kommen ins Gespräch und unterhalten uns über Urlaube mit dem Wohnmobil, der eine der beiden fährt ein Hymermobil und ist davon begeistert. Als wir ihm berichten, dass wir etwa 40 km entfernt vom Hymer-Stammsitz in Deutschland unsere Heimat haben, ist er begeistert: „Eh bien, le monde est petit.“ (Die Welt ist klein.) Unsere Gesprächsthemen streifen nur am Rande die großen Brände von 2021 und 2017, die hier noch allen in Erinnerung sind. Vielleicht ist das normal. Es ist auf jeden Fall verständlich: Die beiden Feuerwehrmänner müssen sich konzentriert fokussieren, wenn Gefahr im Verzug ist. Jetzt plaudern sie, aber immer mit aufmerksamem Rund-um-Blick über die bewaldeten Hügel und immer mit halbem Ohr am Funkgerät, aus dem, begleitet von Knarzen und Rauschen, kurze Meldungen eingehen. Das ist der Moment, indem ich beschließe, den Blog über die Begegnung mit den beiden Feuerwehrmännern zu schreiben. Für mich sind sie stellvertretend für alle, die für die Sicherheit im Maurengebirge sorgen. Eine Präventionskampagne liefert nützliche Informationen für Touristen und Einheimischen: https://www.prevention-incendie-foret.com/ Konkrete Verhaltenstipps für Waldbesuche gibt es hier: https://www.prevention-incendie-foret.com/pratiques-a-risque/en-foret-interdiction-de-faire-feu Die Risikomeldungen werden zwischen Juni und September täglich aktualisiert: Zugangskarte zu den Waldgebieten des Var und Arbeitsvorschriften in den Waldgebieten des Var










